Wald ohne Zukunft?


HINWEIS: Dieser Artikel ist ein Memento eines Artikels, den ich 2020 für SWR-Data erstellt habe. Da aktuelle Artikel auf der SWR-Website nach einer bestimmten Frist offline gestellt werden, habe ich ihn an dieser Stelle reproduziert.


Von Michael Hörz, Johannes Schmid-Johannsen, Ulrich Lang und Nico Heiliger

STAND: 13.10.2020

Der Wald in Baden-Württemberg wird sich dramatisch verändern. Belastungen nehmen immer weiter zu. Die SWR-Datenanalyse zeigt Ihnen Zukunftsszenarien. Kennen Sie die Prognose für Ihre Gemeinde?

Baden-Württembergs Wälder sehen schwierigen Zeiten entgegen: Besonders die stark verbreiteten Fichten kommen mit Veränderungen des Klimas schlecht zurecht. Die Bäume werden immer stärker unter Klimastress leiden, sagen Forscher. Nicht nur Waldbesitzer stellen sich längst die Frage, wie sie mit den Herausforderungen des Klimawandels umgehen sollen.

Nur Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland haben mehr Wald: In Baden-Württemberg nimmt er fast 40 Prozent der Fläche ein. Mit kleinen Ausnahmen (wie Parks oder Schutzgebiete) wird dieser Wald bewirtschaftet. Und schon heute zeigen sich dort immer stärkere Schäden durch überdurchschnittliche Trocken- und Wärmephasen – so hat es der letzte Waldzustandsbericht festgestellt. Besondere Leidtragende: die Fichten.

Auch in höheren Lagen könnte es ein Weinbauklima geben, das ist durchaus möglich.

Axel Albrecht, Forstwissenschaftler mit Schwerpunkt Klimafolgen

In Baden-Württemberg stehen neben Fichten hauptsächlich Buchen, Tannen und Eichen. Wissenschaftler der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) Baden-Württemberg in Freiburg haben in einem ausgefeilten Modell durchgespielt, wie gut die vier führenden Baumarten mit künftigen Klimaveränderungen umgehen können. Sie zeichnen ein düsteres Bild – besonders für Nadelbäume. “Durch extreme Wetterereignisse werden in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts größere Waldflächen spontan absterben”, sagt der Forstwissenschaftler Axel Albrecht, Koordinator der Klimafolgen-Projekte der FVA. “Auch in höheren Lagen könnte es ein Weinbauklima geben – das ist durchaus möglich.”

Grafik: SWRdata · Die Karten zeigen an, wie gut die Fichte für die jeweiligen Waldstandorte geeignet ist. Abgebildet sind der aktuelle Zeitpunkt, der Zeitraum 2021-2050 und der Zeitraum 2071-2100. Tiefgrün bedeutet sehr gut geeignet, tiefrot völlig ungeeignet.

Für das Ende des Jahrhunderts kommen die Forscher bei ihren Modell-Rechnungen zum Ergebnis, dass die Fichte in unseren Wäldern nicht mehr unter den führenden Baumarten vertreten ist. Auch Eiche und Tanne werden demnach nur noch auf jeder zehnten Waldfläche unter den hauptsächlichen Baumarten sein.

Die Buche kommt mit der Trockenheit deutlich besser zurecht als Nadelbäume und könnte laut der Studie auf einem Drittel der Fläche noch die Hauptbaumart sein.

Zustand heute: Fichten in Freudenstadt, Mischwald bei Reutlingen

Zur Einordnung der Studie ist es sinnvoll, die aktuelle Zusammensetzung der Baumarten in den Landkreisen zu betrachten. Diese Daten ergeben sich aus der letzten Bundeswaldinventur, die alle zehn Jahre stattfindet: Im Moment sind Fichten in zahlreichen Landkreisen am stärksten vertreten, während es dort kaum Laubbäume gibt. Freudenstadt fällt besonders auf: Wald nimmt dort fast zwei Drittel der Kreisfläche ein, neun von zehn Bäumen sind Fichten oder andere Nadelbäume.

Im Gegensatz zu Nadelwäldern stehen Mischwälder wie im Kreis Reutlingen besser da. Buchen und Eichen sind hier mit weiteren Laubbäumen wie Eschen und Hainbuchen deutlich in der Überzahl. Auch Heidenheim hat einen zukunftsfähigen Mix aus Laub- und Nadelbäumen. Sie sind weniger anfällig für Trockenheit und vertragen Insektenbefall besser als Nadelbäume.

Zukunftsmodell: Wie sieht es in meiner Gemeinde aus?

Wir haben die Datensätze der Studie auf die Gemeinde-Ebene umgerechnet.
Hier zeigt sich: In der nahen Zukunft (2021-2050) verschlechtern sich die Chancen für alle Baumarten. Doch in ferner Zukunft (2070-2100) haben Fichten keine Chance mehr, nahezu alle baden-württembergischen Gemeinden sind in der dunkelsten Stufe eingefärbt. Das bedeutet, dass die Waldgebiete dort völlig ungeeignet für Fichten sind.

Doch auch Buchen, denen noch die meisten Chancen eingeräumt werden, stehen nicht wirklich gut da. Viele Orte auf der Karte sind nur als “möglich” eingestuft – das ist die schwächste Stufe einer Pflanzempfehlung.

Eichen als zweithäufigste Laubbaumart sind zwar etwas besser geeignet als Nadelbäume, doch auch sie sind ziemlich empfindlich gegen Trockenheit. Eichen können sich schlechter gegen andere Bäume durchsetzen und kommen damit auch nicht als wichtige künftige Baumart in Frage.

Erfahren Sie in unserer interaktiven Tabelle, wie es um Ihre Gemeinde steht

Wie geeignet die vier Baumarten in Ihrer Gemeinde sind, erfahren Sie in der interaktiven Tabelle. Sie müssen nur den Namen Ihrer Gemeinde eingeben.

Die Wälder erwartet eine stetige Änderung bei der Baumzusammensetzung.

Axel Albrecht, Forstwissenschaftler mit Schwerpunkt Klimafolgen

Ausblick: Welche Bäume sind für den Wald geeignet?

In der heutigen Zusammensetzung ist der Wald in Baden-Württemberg also schlecht für die Zukunft gerüstet. “Die Wälder erwartet eine stetige Änderung bei der Baumzusammensetzung”, sagt der Forstwissenschaftler Axel Albrecht. Vor allem gehe es jetzt darum, langsam und planvoll einen Waldumbau einzuleiten, stärker auf Mischwälder zu setzen und so die Risiken auf mehrere Baumarten zu verteilen.

Nun rächt sich der großflächige Anbau der Fichte in den letzten 150 Jahren. Sie steht auch an Orten, die nicht wirklich für sie geeignet sind. Aber lange war sie beliebt wegen ihres schnellen Wuchses, doch in Zukunft wird sie nur noch als Restbaum in höheren Lagen stehen. Den heutigen Ertrag wird sie nicht mehr bringen.

Da die bestehenden Arten nicht mehr oder nur eingeschränkt bestehen werden, geht es um die Suche nach Alternativen. Grundsätzlich sieht Axel Albrecht drei Pfade: Es gebe heimische Bäume, die sich besser an das Klima anpassen könnten, etwa die Hainbuche oder die bislang sehr seltene Elsbeere. Als Alternative böten sich auch besser an Wärme und Trockenheit angepasste Bäume aus dem europäischen Ausland an, etwa die Baumhasel oder die Atlaszeder. Als drittes kämen Bäume aus anderen Kontinenten wie die Roteiche oder der Nadelbaum Douglasie in Frage. Letztere sei eine gute Option für stark am Ertrag orientierte Waldbesitzer. Sie wachse außerdem schon seit über 100 Jahren in Baden-Württemberg, ihr Anteil betrage jedoch nur drei Prozent, erläutert Albrecht.

Es wird beim Wald auch stärker in Richtung Klasse statt Masse gehen. So bringen etwa Buchen weniger Ertrag als Nadelbäume, doch das Holz hat eine ganz andere Qualität und lässt sich zum Beispiel im Möbelbau einsetzen. Unterm Strich könnte der finanzielle Ertrag für Waldbesitzer ähnlich sein.

Wir brauchen Baumarten und Ökosysteme, die sowohl für heutige wie auch künftige klimatische Bedingungen geeignet sind.

Axel Albrecht, Forstwissenschaftler mit Schwerpunkt Klimafolgen

Wald ist mehr als Holzvorrat

Bei aller Wichtigkeit des wirtschaftlichen Nutzens hat der Wald auch noch andere Funktionen, die man nicht aus den Augen verlieren sollte, sagt Axel Albrecht. Er nennt hier den Wald als Erholungsgebiet, als Kohlendioxid-Binder (Fachbegriff “CO2-Senke”) und als Schutz gegen Lärm oder Bodenerosion.

Wenn es nun darum geht, über neu zu pflanzende Bäume zu entscheiden, sollte man solche auswählen, mit denen man auch zufrieden ist, wenn der Klimawandel nicht so stark durchschlägt (No-Regret-Prinzip): “Wir brauchen Baumarten und Ökosysteme, die sowohl für heutige wie auch künftige klimatische Bedingungen geeignet sind”, sagt Axel Albrecht. Man müsse dafür sorgen, dass geeignete Bäume wachsen und gedeihen. Schon heute testet die FVA gemeinsam mit Forst Baden-Württemberg auf Brachen neue Baumarten - damit der Wald in Baden-Württemberg eine Zukunft hat.

Methodik

Wie sind die Forscher vorgegangen?

Die Wissenschaftler um Axel Albrecht von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) haben eine bestehende Studie zur Baumeignung in Baden-Württembergs Wäldern als Ausgangspunkt verwendet und vorausberechnet, wie die Temperatur steigen wird, in welcher Form Wasser zur Verfügung steht, wie stark sich extreme Wetterereignisse und Borkenkäferbefall auswirken. Auf dieser Basis haben sie Karten entwickelt, die zeigen, wie gut einzelne Standorte für die vier am stärksten vertretenen Baumarten in naher (2021-2050) und ferner Zukunft (2071-2100) geeignet sind.

Die genauen Baumbestände in 30 oder 80 Jahren vorherzusagen, ist aufgrund der vielen Unwägbarkeiten nicht möglich. Die Arbeit berechnet, wie sinnvoll es ist, bestimmte Baumarten an einzelnen Stellen zu pflanzen. Dabei spielt sie zwei Klimaszenarien durch, einmal eine durchschnittliche Erwärmung um 2,5 Grad bis 2100, einmal eine Erwärmung um 4,5 Grad. Die Forscher gehen aktuell davon aus, dass das “Weiter so”-Szenario (4,5 Grad) eintreten wird. Aus diesem Grund stellen wir nur die Daten aus diesem Szenario dar.

Mehr zur Klimafolgenforschung finden Sie hier.